Gedanken zur Gestaltung von Erlebnissen
Artikel vom 25. April 2005. ISSN 1614-3124, #12. Schwerpunkt: Usability (RSS-Feed für alle Themen).
Die Gestaltung einer positiven Nutzererfahrung – User Experience – sollte das Ziel einer jeden Unternehmung sein, ob mit einem physischen Produkt oder eine virtuellen Website. Dieses Vorgehen ist nicht nur ethisch, wenn man will, sondern bedeutet für alle Beteiligten ein »Win/Win«, denn Benutzer und Konsumenten sind eher zufrieden mit dem, was sie gebrauchen, verbrauchen und für das sie bezahlen, während Anbieter durch bessere Kundenbindung, wiederholte Inanspruchnahme ihres Angebots und Weiterempfehlungen profitieren. Im Folgenden sollen Punkte zusammengetragen, Ideen gesammelt und Überlegungen angestellt werden, die zur Schaffung von Erlebnissen führen.
Um eine positive Nutzererfahrung zu erzielen, stehen uns bereits eine Reihe von Instrumenten, Methoden und Prozessen zur Verfügung – so können wir beispielsweise über Nutzertests ermitteln, ob ein Produkt oder eine Oberfläche überhaupt funktioniert und nicht vielleicht in eine gegenteilige, eine negative Erfahrung mündet. Andere Werkzeuge müssen aber vielleicht noch gefunden werden, schließlich werden manche Produkte und Leistungen, die ein besonderes Erlebnis inszenieren (oder zu inszenieren wünschen), auch mit gewisser Finesse sowie in häufigen Abständen zu evaluieren und zu verbessern sein.
Da Nutzer- und Kundenzentrierung für jede Unternehmung kritisch ist, ist der ignorante Gebrauch dieser Begriffe als »Schlagwörter« fatal. Erfahrungsgemäß stellt eine solche Zentrierung das Fundament für alle weiteren Bemühungen dar, negativ wirkende Angebotsattribute zu eliminieren und erst recht, eine positive Erfahrung, ein echtes Erlebnis zu konstruieren. Eine egozentrische Unternehmenshaltung bedeutet kurzfristiges Denken, denn sie verkennt die Effekte, für die zufriedene oder gar begeisterte Kunden langfristig sorgen, und entsprechend steht sie der Schaffung von Erlebnissen im Weg.
Es lässt sich festhalten: Nutzer- und Kundenzentrierung sind Vorbedingungen für die Kreation positiver Nutzererfahrungen; erst eine positive Erfahrung kann ein echtes, ein schönes Erlebnis ausmachen.
»Konsum als Ereignis, Business als Bühne, Arbeit als Theater«
… untertiteln B. Joseph Pine und James H. Gilmore die deutsche Ausgabe ihres Buchs The Experience Economy (Erlebniskauf) und bieten damit Einblick in das Erlebnis-Paradigma. Zur Gestaltung eines Erlebnisses empfehlen sie, sich auf die folgenden Punkte zu konzentrieren:
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Ästhetik: Sie soll den Kunden und Benutzer dazu bewegen, »einzutreten, sich hinzusetzen und dazubleiben«. Die Umgebung sollte einladend, interessant und angenehm sein, und die Atmosphäre so, dass man sich wohlfühlen kann – was auch auf die Oberflächen von Applikationen oder Websites zutrifft.
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Realitätsflucht: Die Möglichkeit zur Realitätsflucht soll Kunden in Aktivitäten »hineinziehen«, sie zu aktiven Teilnehmern am Erlebnis machen.
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Bildungsaspekt: Teil eines Erlebnisses ist es ebenso, etwas mitnehmen, etwas lernen zu können. Es gilt, herauszufinden, welche Informationen oder Aktivitäten dazu beitragen, dass Kunden und Benutzer neues Wissen und neue Fähigkeiten erwerben.
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Unterhaltungsaspekt: Dieser ist wichtig, um die Rezipienten »dabehalten« und um sie in einen »größeren Genuss« bringen zu können. Pine und Gilmore verweisen in diesem Zusammenhang unter anderem auf professionelle Redner, die sich durch Witze in ihren Vorträgen der Aufmerksamkeit ihres Publikums versichern.
Der kundenspezifische Wert eines wirtschaftlichen Angebots ermittelt sich daraus, dass es:
- dem individuellen Kunden spezifisch unterbreitet, es also zu einem bestimmten Zeitpunkt extra fĂĽr ihn bereitgestellt wird;
- persönliche Charakteristika aufweist, um den individuellen Bedürfnissen des Kunden Rechnung zu tragen;
- einen besonderen, singulären Zweck für den Kunden erfüllt, es also genau das ist, was sich der Kunde vorstellt und wünscht.
Individualisierung als SchlĂĽssel
Der kundenspezifische Wert eines Angebots basiert also auf der Minimierung von Zugeständnissen, die der Kunde machen muss, und der Individualisierung der Leistung. Der Rückgriff auf ein fast vergessenes Axiom ist hilfreich: »Jeder Kunde ist einzigartig.« Individualisierung und damit höhere Differenzierung und Relevanz lassen aus einem Massengut ein Gut werden, aus einem Gut eine Dienstleistung, aus einer Dienstleistung ein Erlebnis (und aus einem Erlebnis eine Veränderung).
Laut Pine und Gilmore kann man zwischen vier unterschiedlichen Wegen der Individualisierung unterscheiden, nämlich der kooperativen (in Zusammenarbeit mit Kunden und Benutzern herausfinden, was diese benötigen), der adaptiven (das Produkt selbst ist individualisierbar, der Kunde kann es seinen Bedürfnissen anpassen), der kosmetischen (die Darstellung und Verpackung des Produkts ist auf den Kunden zugeschnitten) und der unmerklichen (durch Beobachtung der Kunden und Benutzer wird das Produkt nach und nach für diese verbessert) Individualisierung.
Die Aktualisierung von Angeboten ist ebenso entscheidend: Sie ist nicht nur Teil der Individualisierung, wie es die unmerkliche Form erfordert, sondern bereits wichtig, um Erfahrungen und Erlebnisse dauerhaft interessant bleiben zu lassen – kreiert beispielsweise ein Restaurantbesitzer für jeden Gast ein besonderes Erlebnis, so muss er dieses variieren, damit das Angebot für den Gast attraktiv bleibt.
Grundlagen der Erlebnisgestaltung
Bei der Erschaffung von positiven Erfahrungen und Erlebnissen sind entscheidend:
- Zentrierung: Ausrichtung auf den Benutzer und Kunden (UCD/CCD);
- Vision: Das Angebot als Erlebnis, als etwas, das begeistert (als flankierende Motivation und Inspiration);
- Instrumente: Individualisierung und Aktualisierung (bei häufig erworbenen oder aufgesuchten Leistungen).
Durch diese Punkte wird nur ein grobes Bild gezeichnet. Insgesamt ist festzustellen, dass sich bislang wenig Literatur mit der Gestaltung von Erfahrungen und Erlebnissen auseinandersetzt, aber vor allem, dass manche Märkte überhaupt erst einmal echte Nutzer- und Kundenzentrierung für sich entdecken müssen. Jedes Angebot kann von den vorgestellten Ansätzen profitieren, und damit auch jeder Betroffene.
Ăśber mich
Ich bin Jens (lang: Jens Oliver Meiert), und ich bin ein Frontend-Engineering-Leiter und technischer Autor/Verleger. Ich habe als technischer Leiter für Firmen wie Google und als Engineering Manager für Firmen wie Miro gearbeitet, bin W3C und WHATWG verbunden und schreibe und prüfe Fachbücher für O’Reilly und Frontend Dogma.
Ich experimentiere gerne, nicht nur in der Webentwicklung (und im Engineering Management), sondern auch in anderen Bereichen wie der Philosophie. Hier auf meiert.com teile ich einige meiner Ansichten und Erfahrungen.
Wenn du mir einen Gefallen tun magst, interpretiere wohlwollend (ich spreche drei Sprachen, und die kommen sich manchmal in die Quere), aber hinterfrage meine Arbeit und teile Feedback, damit ich Inhalte verbessern kann. Danke!
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