Usability-Heuristiken
Artikel vom 18. Dezember 2005 (↻ 25. April 2006). ISSN 1614-3124, #17. Schwerpunkt: Usability (RSS-Feed für alle Themen).
Ebenso wie in Bezug auf Barrierefreiheit lassen sich auch für die Bedienbarkeit und Benutzerfreundlichkeit von Websites einfache Regeln heranziehen, über die man deren Qualität beurteilen und verbessern kann. Die folgenden Heuristiken decken allgemeine sowie auf das Internet bezogene spezielle Richtlinien für Websites und ältere Benutzer ab.
Die aufgeführten Heuristiken können und sollen keine Nutzertests und andere Methoden zur Sicherstellung der Bedienbarkeit eines Produkts oder einer Website ersetzen. Sie eignen sich eher zur groben Beurteilung von Problemen wie auch als Leitlinien bei Expertenevaluierungen.
Allgemeine Richtlinien
Jakob Nielsen und Rolf Molich haben 1990 im Rahmen der ACM-Untersuchung Improving a Human-Computer Dialogue festgestellt, dass der Großteil der von ihnen im Rahmen der Untersuchung erfassten Usability-Probleme bestimmten Kategorien zugeordnet werden konnte. Diese Kategorien oder Prinzipien wurden von Nielsen und Molich als Checkliste eingesetzt. 1994 gab es eine generalisierende Überarbeitung, die in zehn allgemeinen Heuristiken resultierte:
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Sichtbarkeit des Systemstatus: Ein System sollte den Benutzer jederzeit angemessen darüber informieren, was passiert.
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Übereinstimmung zwischen System und Wirklichkeit: Ein System sollte die Sprache des Benutzers sprechen, in einer Form, mit der der Benutzer vertraut ist, und nicht mit systemorientierten Begriffen. Informationen sollten in natürlicher und logischer Reihenfolge dargestellt werden.
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Nutzerkontrolle und -freiheit: Benutzer wählen Systemfunktionen oft versehentlich und benötigen somit einen klar gekennzeichneten »Notausgang«, um den ungewünschten Zustand ohne langen Dialog verlassen zu können. Die Funktionen »Rückgängig« und »Wiederholen« sollten unterstützt werden.
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Konsistenz und Standards: Benutzer sollten sich nicht fragen müssen, ob verschiedene Wörter, Situationen oder Aktionen dasselbe meinen. Plattformkonventionen sollten befolgt werden.
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Fehlervorbeugung: Ein sorgfältiges Design, das das Auftreten von Problemen verhindert, ist noch besser als gute Fehlermeldungen.
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Erkennen anstatt Erinnern: Objekte, Aktionen und Optionen sollten sichtbar sein. Der Benutzer sollte sich Informationen nicht von einem Abschnitt des Dialogs bis zu einem anderen merken müssen. Instruktionen für den Systemgebrauch sollten leicht auffindbar sein.
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Flexibilität und Effizienz: Akzeleratoren (»Programmzeitverkürzer«) können – von Laien unbemerkt – die Interaktion für Experten so beschleunigen, so dass ein System sowohl von Anfängern als auch erfahrenen Benutzern bedient werden kann. Benutzern sollte ermöglicht werden, häufige Aktionen auf sie zuzuschneiden.
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Ästhetisches und minimalistisches Design: Dialoge sollten keine Informationen beinhalten, die irrelevant sind oder selten benötigt werden. Jede zusätzliche Informationseinheit in einem Dialog konkurriert mit den relevanten Informationen.
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Benutzern sollte geholfen werden, Fehler zu erkennen, zu diagnostizieren, und sich von diesen wieder zu »erholen«: Fehlermeldungen sollten in einfacher Sprache formuliert sein, das Problem exakt beschreiben und eine konstruktive Lösung vorschlagen.
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Hilfe und Dokumentation: Obwohl es besser ist, wenn ein System ohne Dokumentation verwendet werden kann, mag es notwendig sein, Hilfe und Dokumentation bereitzustellen. Diese Informationen sollten leicht zu durchsuchen und auf die Aufgabe des Benutzers fokussiert sein; zudem sollten sie konkrete Schritte, die vorgenommen werden müssen, aufzählen und dabei nicht zu umfangreich sein.
Richtlinien für Websites
Jakob Nielsens ausgezeichnetes Buch Homepage Usability (2002 auf Deutsch erschienen) enthält 113 Richtlinien (nicht nur) für Startseiten von Websites, die an dieser Stelle allerdings nicht vollständig veröffentlicht werden können. Statt dessen soll ein frei formulierter Überblick über ihre Hauptaussagen gegeben werden, der sich mit verbreiteten Regeln deckt:
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Kommunizieren Sie den Zweck der Website. Dies beinhaltet unter anderem eine auffällige Platzierung des Logos, den Gebrauch einer Tagline und die Hervorhebung des Nutzens der Website.
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Bieten Sie Informationen über das Unternehmen (oder den Website-Betreiber). Diese Informationen umfassen beispielsweise Sektionen wie »Über uns« oder »Presse«, aber auch Kontaktmöglichkeiten und Datenschutzhinweise.
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Achten Sie auf die Inhalte der Website. So sollte eine den Benutzern angemessene Sprache gebraucht werden, während Redundanzen ebenso wie Marketing-Phrasen vermieden werden sollten.
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Illustrieren Sie Inhalte durch Beispiele.
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Erlauben Sie Zugriff auf alte Inhalte (Archiv).
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Achten Sie auf Links. Dies umfasst zum einen das Schreiben guten Mikrocontents ebenso wie das Vermeiden von »mehr«- oder »hier«-Links, zum anderen aber auch das Ermöglichen direkten Zugriffs auf wichtige Funktionen und das Weglassen von Links, die Browserfunktionalität abdecken (»als Startseite«, »zu den Favoriten hinzufügen«).
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Achten Sie auf die Navigation. Diese sollte beispielsweise auffällig platziert und nach Ähnlichem sortiert sein. Zudem sollte nicht auf Seiten verlinkt werden, auf denen man sich befindet.
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Achten Sie auf die Suche. Dieser Punkt schließt ein, Benutzern eine Suchmaske zu offerieren, die breit genug ist und die standardmäßig die gesamte Website durchsucht.
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Achten Sie auf das Design. Dies beinhaltet zum Beispiel eine begrenzte Zahl unterschiedlicher Schriftformatierungen, aber auch, dass die wichtigsten Seitenelemente »über der Falz« angezeigt werden, idealerweise in einem flexiblen Layout.
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Achten Sie auf Bilder und Animationen. So sollten Graphiken Inhalte darstellen und nicht lediglich dekorieren, sie sollten – falls hilfreich – beschriftet werden, und Animationen auf keinen Fall für zentrale Seitenelemente wie Logo oder Tagline verwendet werden.
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Verwenden Sie Schnittstellenelemente sorgfältig. So sollten auf der Homepage nicht mehrere Eingabefelder verwendet und Dropdown-Menüs wiederum sparsam gebraucht werden.
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Achten Sie auf Fenstertitel. Fenstertitel sollten beispielsweise mit dem Firmennamen beginnen, auf Startseiten nicht den Begriff »Homepage« beinhalten und zudem auf sieben oder acht Wörter begrenzt sein.
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Vermeiden Sie »Splashscreens«, Führungsseiten und Popups.
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Verzichten Sie auf Willkommensgrüße, solange Sie den Benutzer nicht auch direkt ansprechen, ihn also wiedererkannt haben.
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Kommunizieren Sie technische Probleme.
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Verzichten Sie auf »Credits« (»powered by«) und Awards, auf jeden Fall auf der Startseite.
Nielsens Richtlinien umfassen noch eine Reihe weiterer Punkte, beispielsweise URIs, News und Pressemitteilungen, Werbung, aber auch das Sammeln von Kundendaten. Neben dieser umfangreichen Sammlung von Heuristiken, die jeweils ausführlich erklärt werden, bietet Nielsens Buch zudem einen Überblick über eine Vielzahl von Usability-Konventionen.
Steve Krug verweist in seinem ebenfalls empfehlenswerten Buch Don’t Make Me Think auf weitere hilfreiche Grundregeln und Merksätze. So lauten seine ersten drei »Gesetze zur Usability«:
- Zwing mich nicht zum Nachdenken! (Don’t make me think!)
- Es ist egal, wie oft ich klicken muss, solange jeder Klick eine gedankenlose, unzweideutige Auswahl ist.
- Werfen Sie die Hälfte aller Wörter auf jeder Seite raus, und vom Rest noch einmal die Hälfte.
Krugs »Lebensweisheiten«:
- Wir lesen keine Seiten, wir überfliegen sie.
- Wir treffen keine optimale Wahl.
- Wir befassen uns nicht damit, wie etwas funktioniert, sondern wursteln uns durch.
Zudem empfiehlt er folgende Maßnahmen für Websites:
- Schaffen Sie eine klare visuelle Hierarchie.
- Halten Sie sich an Konventionen (»Konventionen sind Ihre Freunde«).
- Teilen Sie Seiten in klar definierte Bereiche.
- Kennzeichnen Sie Anklickbares.
- Regeln Sie das (visuelle) Rauschen herunter.
- Es geht nichts über einen guten Slogan (Tagline).
Richtlinien für ältere Benutzer
Die amerikanische Association for the Advancement of Retired Persons (AARP) hat aus zwei 2004 und 2005 durchgeführten Studien eine Liste von 20 Heuristiken (PDF, 64 KB) erstellt, die auf Menschen abzielt, die über 50 Jahre alt sind:
- Verwenden Sie konventionelle Interaktionselemente.
- Zeigen Sie eindeutig, was klickbar ist und was nicht.
- Stellen Sie sicher, dass klickbare Elemente leicht anzuvisieren und zu treffen sind.
- Minimieren Sie die Notwendigkeit vertikaler Scrollbalken, und vermeiden Sie horizontale Scrollbalken gänzlich.
- Vergewissern Sie sich, dass sich der »Zurück«-Button vorhersehbar verhält.
- Geben Sie dem Benutzer die Kontrolle.
- Gibt es klares Feedback auf Aktionen?
- Ermöglichen Sie Feedback in non-visuellen Modi (zum Beispiel durch Alternativtexte oder Unterstützung haptischer Eingabegeräte).
- Machen Sie die Struktur der Website so sichtbar wie möglich.
- Beschriften Sie inhaltliche Kategorien in deutlicher Form und unterstützen Sie »Erkennen anstatt Erinnern«.
- Gebrauchen Sie die »flachstmögliche« Informationshierarchie.
- Bieten Sie eine Sitemap an und verlinken Sie auf diese von jeder Seite aus.
- Sorgen Sie dafür, dass Seiten leicht zu überfliegen sind.
- Sorgen Sie dafür, dass Seitenelemente leicht zu lesen sind.
- Gruppieren Sie ähnliche Themen visuell.
- Stellen Sie sicher, dass sich Hinter- und Vordergrundfarben gut voneinander abheben.
- Verwenden Sie ausreichend Leerraum.
- Machen Sie es leicht, Dinge zu finden.
- Richten Sie Ihre Schreibweise auf Publikum und Zweck aus.
- Gebrauchen Sie die Sprache des Benutzers, verringern Sie den Gebrauch von Fachsprache und technischen Begriffen.
Über mich
Ich bin Jens (lang: Jens Oliver Meiert), und ich bin ein Webentwickler, Manager und Autor. Ich habe als technischer Leiter und Engineering Manager für ein paar Firmen gearbeitet, bin Mitwirkender an verschiedenen Webstandards und schreibe und prüfe Fachbücher für O’Reilly und Frontend Dogma.
Ich experimentiere gerne, nicht nur in der Webentwicklung und im Engineering Management, sondern auch in anderen Bereichen wie der Philosophie. Hier auf meiert.com teile ich einige meiner Erfahrungen und Ansichten. (Sei jederzeit kritisch, interpretiere wohlwollend und gib Feedback.)
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